Anlässlich der Weihnachtsfeier im Restaurant Bischofshof wurde am 30.11.2025 zum vierten Mal der Marie-Schandri-Preis verliehen. Nachfolgend die Laudatio von Toni Röhrl, Vice Chancelier Honoraire, die auch ein interessanter Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Chaîne des Rôtisseurs und unserer Bailliage ist:
Chères consoeurs, chers confrères,
es sollte eine Überraschung sein. Ihr alle werdet jetzt gleich Zeugen eines historischen Moments. Ich bin ja schon einmal bei einer Weihnachtsfeier, damals in Weltenburg – hoffentlich unangenehm – in Erscheinung getreten, als Krampus nämlich, um die kleinen Schwächen einiger Mitglieder aufs Korn zu nehmen, ihnen die Leviten zu lesen. Diesmal zu Eurer Beruhigung ist meine Mission eine ganz andere. Sie trägt die rätselhafte Überschrift:
Vom größten Ganovenstück der Weltgeschichte zum Marie-Schandri-Preis
Ihr werdet sicher gleich fragen, wo denn um Himmels Willen hier der rote Faden zu finden ist, der die Enden dieser beiden Geschichten miteinander verbindet? Nun, chères consoeurs, chers confrères, dann passt jetzt gut auf!
Ich beginne mit dem Ganovenstück: Eine unheilige Allianz von byzantinischen Betrügern und venezianischen Seefahrern hatte dem ebenso gutgläubigen wie frommen Ludwig IX., König von Frankreich, weisgemacht, sie seien im Besitz der Dornenkrone Jesu Christi und würden diese zum Schnäppchenpreis von 135.000 Livres zum Kauf anbieten. Das entsprach immerhin der Hälfte des jährlichen Staatshaushalts. Ludwig blätterte 1239 den geforderten Betrag anstandslos hin. Sein Motiv: Erstens verschaffte ihm dieser Besitz eine zusätzliche Legitimation seiner Macht, und zweitens standen für ihn nach den Einflüsterungen seiner Beichtväter bei Ableben die Tore zum himmlischen Jerusalem weit offen. Hier ist aus geschichtsphilosophischer Sicht anzumerken, dass die Menschen von damals bei der vorherrschend niedrigen Lebenserwartung nichts sehnlicher anstrebten als genau dieses Ziel.
Weil aber eine so kostbare Reliquie natürlich fortwährender Anbetung bedurfte, ließ er gleich ein Gotteshaus um sie herum bauen: die Saint Chapelle, auf der Île de la Cité in Paris. Und weil diese Kapelle schon bald die Menge dorthin pilgernder Menschen nicht mehr aufnehmen konnte, ließ er in der Nachbarschaft den Grundstein für eine um vieles größere Kathedrale legen – Nôtre Dame de Paris.
Wenn man vor ihr steht – die Restaurierung nach dem Brand vor fünf Jahren ist mittlerweile fast abgeschlossen –, kann man sofort ermessen, wie viele tausend Hände daran gewerkelt haben müssen. Mauerer, Zimmerer, Steinmetze, Gerüstbauer, Transportunternehmer … und und und. Es war der Beginn der Gotik in Frankreich, mittelbar auch die Blaupause für unseren Regensburger Dom. Weil diese Arbeiterscharen aber täglich mit Nahrung versorgt werden mussten, waren ganze Hundertschaften von Köchen und Küchenhelfer vor Ort. Diese logistische Herkules-Aufgabe über einen längeren Zeitraum hinweg war allerdings nur zu stemmen mit einer straff strukturieren Organisation. Ludwig hob sie aus der Taufe und gab ihr nach dem Bild einer Kette, deren Belastung bekanntlich nur soweit reicht wie ihr schwächstes Glied hält – vom Apprenti (Lehrling) zum Bailli (Zunftmeister) – den Namen Chaîne des Rôtisseurs (Kette der Spießbrater). Das also war 1248 die Geburtsstunde der Chaîne-des-Rôtisseurs. Ihr findet diese Jahreszahl auf unserem Wappen links.
Über Jahrhunderte hatte diese Organisation bestand und trug maßgeblich zur Sublimierung aller gastronomischen Dienstleistungen bei, bis die Revolutionäre von 1789 ihr, weil privilegiert und von Königs Gnaden, den Garaus machten. Die Gilde der Köche aber wandte sich nunmehr in Form von Restaurants dem aufstrebenden Bürgertum zu. Ihre bisherigen Auftraggeber mussten sich da schon – ohne Kopf wohlgemerkt! – die Radieserl von unter anschauen. Darauf folgte ein unermesslicher Aufstieg der gastronomischen Kultur über die sogenannte Belle Epoque hinaus bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges. 1950 – das ist jetzt die zweite Jahreszahl auf unserm Wappen – revitalisierte ein Pariser Stammtisch von kulinarischen Enthusiasten die Chaîne als Organisation, mit dem Ziel, gastronomisch wieder an die Zeit vor 1914 anzuknüpfen – diesmal aber, indem man die sogenannten Amateure, sprich Gäste, mit ins Boot nahm. In der Folge dehnte sich die Idee dieser Neugründung über den ganzen Globus aus. Mitte der neunziger Jahre schließlich beugte sich der amtierende Bailli Délégué über die bayerische Landkarte und machte in Niederbayern und der Oberpfalz einen weißen Fleck aus. Diese Bestandsaufnahme führte 1998 zur Gründung unserer Bailliage mit Bernhard Matt als Bailli. Das, chères consoeurs, chers confrères, sind in aller Kürze die großen historischen Schultern auf denen wir stehen. Die große Geschichte hinter der kleinen unserer Bailliage. Und jeder von Euch darf sich als gleichberechtigtes Glied in dieser langen Kette der Spießbrater bis ins Jahr 1248 zurück fühlen.
Jetzt aber kommen wir zum eigentlichen Anlass meiner Rede: die Verleihung des Marie-Schandri- Preises 2025. Gestatten Sie mir dazu ein paar persönliche Anmerkungen:
Wir kennen uns jetzt seit 40 Jahren. Das ist weit mehr als die Hälfte meines bisherigen Lebens. Ein gemeinsamer Freund, der unvergessene Manfred Fichtl, hatte uns Mitte der 80er Jahre miteinander bekannt gemacht. Ich war gerade aus Frankreich zurück und voller Begeisterung für gute Küche und gute Weine. Da ging ich mit der Idee schwanger, eine Weinbruderschaft zu gründen – für den Austausch gemeinsamer Erfahrungen oder einfach aus Spaß an der Freude. Und da ich schon damals das Gefühl hatte, der heutige Preisträger ist für so was empfänglich, trug ich Kalli Wilfurth an, als Gründungsmitglied mitzumachen. Und wie selbstverständlich antwortet er kurz und knapp: »Ja klar!« So gründeten wir 1990 mit zehn weiteren Mitstreitern die Buchhof-Weinritter. Sieben Jahre später als Bernhard Matt und ich im Begriff waren, die Bailliage Bavière Orientale ins Leben zu rufen, fragte ich ihn wieder, ob er auch bei diesem Verein mitwirken wolle. Und wieder antwortete er kurz und knapp: »Na klar!«
Chères consoeurs, chers, confrères, der von mir geschätzte Autor Saša Stanišić, ein gebürtiger Bosnier, hat diese Woche im Zeit-Magazin in einem abgefragten Stenogramm einige seiner Lebensmaximen offenbart. Darunter findet sich der Satz: »Langeweile entsteht, weil du Nein sagst.« Lieber Kalli, Du hast bei Anfragen der eben beschriebenen Art nie Nein gesagt. Und langweilig ist´s uns beiden in all den Jahren erst recht nicht geworden. Mit Deinem maßgeblichen Zutun – und jetzt will ich auch gleich die Barbara mit ins Boot holen, sie hat schließlich die Hauptlast der Arbeit getragen, »mit Eurem Zutun« muß es richtiger Weise heißen – ist aus dem ursprünglichen Zwei-Mann-Betrieb die mittlerweile zweit größte Bailliage in Deutschland entstanden. Von 2008 an bis 2022, innerhalb von 15 Jahren, habt ihr diese Bailliage zu einem Erfolgsmodell mit knapp 200 Mitgliedern entwickelt. Besonders bemerkenswert dabei, Du hast jede unserer Veranstaltungen in einen historischen Kontext gestellt, die Geschichte des jeweiligen Hauses extrapoliert, eine Verbindung zur örtlichen Umgebung hergestellt und das immer in einer humorvoll launigen, unterhaltsamen Art und Weise. Damit hast Du Dich um die gastronomische und kulinarische Kultur in Ostbayern verdient gemacht. Völlig zurecht wird Dir heute in Personalunion mit Barbara diese Ehrung zuteil.
Den Marie-Schandri-Preis, lieber Kalli, haben wir seinerzeit gemeinsam aus der Taufe gehoben. Ich hatte die Idee, einen Preis für besondere Leistungen zur Förderung der gastronomischen Kultur auszuloben. Und als ich diese in einer Sitzung unseres Rates vortrug, hast Du wieder sofort Ja gesagt und hinzugefügt: »Dann nennen wir ihn doch nach der berühmten Köchin im Golden Kreuz, der Kaiserherberge von Regensburg, den Marie-Schandri-Preis. Erstmalig haben wir ihn 2018 auf unserem Grand Chapitre in Regensburg Deinem Vorgänger im Amt des Bailli, Bernhard Matt, verliehen, ein Jahr später dem verdienten Gastronomen-Paar Monika und Herbert Schmalhofer. Heute bist Du an der Reihe. Damit schließt sich der Kreis vom Heiligen Ludwig und seiner Dornenkrone über den Pariser Stammtisch zur heutigen Preisverleihung – ein komplexes Stück europäischer Kulturgeschichte, aus gastronomischem Blickwinkel betrachtet.
Lieber Kalli, liebe Barbara, 40 Jahre unverbrüchliche Freundschaft, 40 Jahre gemeinsame Arbeit, 40 Jahre voller kultureller Erlebnisse und kulinarischer Erinnerungen. Das muß uns erst mal einer nachmachen. Gabi und ich jedenfalls sind stolz auf unsere Freundschaft und auf unsere Bruderschaft der Chaîne des Rôtisseurs. Also Joachim, her mit dem Preis! Vivre la Chaîne!
Photos: Juliane Lerch, Vice Chancelier